Samstag, 7. Juni 2008
Verteidigung der Nazivergleiche
Ich habe mich gerade ein wenig mit dem Thema Homophobie in den Texten vieler jamaikanischer Reggea- und Dancehallkünstler beschäftigt. Einige Foren habe ich mir durchgelesen und immer wieder kam es zu einem Schlagabtausch folgender Natur:

Reggea-Verteidiger:
"...Außerdem sind nur etwa 5% der Text von Sizzla schwulenfeindlich, der Rest befasst sich mit dem Thema überhaupt nicht..."

Reggea-Kritiker:
"...Eine Band in deren Texten zu etwa 5% die Ausrottung der Juden gefordert wird ist also auch in Ordnung?"

Reggea-Verteidiger:
"Das ist einfach typisch! Wenn ihr Reggea-Feinde keine Argumente mehr habt, kommt ihr einfach mit der Auschwitz-Keule. Die Nazivergleiche nerven!"

Das finde ich hochgradig verstörend. Erstens ist nämlich diese zunehmende Tendenz Nazivergleiche von vornherein für unangebracht zu halten schlichtweg verkehrt. Es gibt einfach Situationen in denen sie mehr als angebracht sind, wenn jemand die Ermordung einer bestimmten Minderheit fordert, ist das so eine Situation.

Zweitens, und ausschlaggebender, ist die Formulierung "Auschwitz-Keule". Das ist äußerst diffamierend gegenüber allen Opfern des zweiten Weltkriegs. Wenn jemand eine Äußerung oder die Argumentation einer Person alleine durch die Formulierung zerstört, dann funktioniert das, weil er dem Gegner jede Grundlage entzieht. Wer Nazivergleiche anführt wird sehr gern nicht ernst genommen, weil ihm ja angeblich das Wissen fehlt anders zu argumentieren. Tatsächlich hat er aber, so der Vergleich angebracht ist, die Weitsicht solche Zusammenhänge zu erkennen und den Mut sie anzusprechen. Dass er aber nicht ernst genommen wird, fällt zurück auf die Opfer. Es ist als würde man sagen, dass der millionenfache Tod und all das Leid uns nichts beigebracht haben darf, weil scheinbar nie die Schwelle erreicht ist, ab der Nazivergleiche valide sind.

Ich frage mich, wo diese Schwelle wohl liegt. Muss erst an türkische Lebensmittelläden geschrieben werden "Kauft nicht beim Türken", oder müssen tatsächlich Konzentrationslager für Homosexuelle her? Nazivergleiche haben eine absolute Daseinsberechtigung: Hier liegt eine Möglichkeit menschenverachtende Umstände als das zu beschreiben was sie sind. Wenn solche Vergleiche grundsätzlich von vornherein abgelehnt werden, dann haben wir tatsächlich nichts aus der Geschichte gelernt und es ist dann immernoch möglich Massen zu radikalisieren und einen wie auch immer gearteten Genozid auf die Beine zu stellen.

PS: Was für Deutschland und wahrscheinlich auch für weite Teile Europas die Auschwitz-Keule ist ist in den USA, insbesondere zur Zeit, die "race card". Es fehlt das Bewusstsein, dass die Formulierung "playing the race card" äußerst beleidigend für Schwarze und ihr Probleme im heutigen Amerika ist. Hier werden Argumente auf Nimmerwiedersehen vernichtet, einfach, weil die Rassen- und Rassismusproblematik nicht für vollwertig gesehen wird.

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